Markus Redl : Art Düsseldorf

30 March - 2 April 2023
  • Markus Redl

    At Art Düsseldorf 2023
  • Aus einem Block Statuario Marmor, der natürliche Bruchstellen aufweist, das heißt Oberflächen, die beim Abbau im Steinbruch entstanden sind, wurde in einer aus der Mitte gerückten Achse eine Fiale gearbeitet; oder besser, ein turmähnlicher Mast, der formale Entsprechungen zu einer gotischen Fiale erkennen lässt. An der Basis, der Fläche, aus der der Turm entspringt, finden sich leicht devastierte, portalähnliche Formen, die mit Ziergiebel gekrönt sind und an so genannte Wimpergen erinnern (einem Bauelement der gotischen Architektur). Der sich verjüngende Mast ist durch Linien strukturiert, entlang derer knospenartige Körper hervortreten, die eindeutig an die Zier- und Strukturelemente einer gotischen Fiale denken lassen. Dabei handelt es sich um Kriechblumen und Figuren, die von der Kunstgeschichte unter dem Fachausdruck Krabben subsumiert werden.

  • Der Turm läuft auf eine Spitze zu, die allerdings nicht existiert, da ihm ein Querbalken ein abruptes Ende setzt. Die...

    Der Turm läuft auf eine Spitze zu, die allerdings nicht existiert, da ihm ein Querbalken ein abruptes Ende setzt. Die aufsteigende Form, der vertikale Zug gen Himmel wird durch einen Rahmen begrenzt. Es scheint, als wäre der Turm in einem Schraubstock, der seine natürliche Größe reduziert hat. Darüber hinaus lässt das Zusammenspiel der Formen von Basis, Turm, Durchbrüchen respektive Rahmen, an einen Schiffsrumpf mit Masten und Segel denken. Die Knospen verwandeln sich in Schellen auf einem Turm, der ein Narrenschiff auf Kurs bringt und hält. Bleibt man bei diesem Bild, so findet sich am Heck des Schiffes die Inschrift: INTERREGNUM A und auf dem zum Rumpf verkehrt stehenden Segel befindet sich an der einen Seite die Inschrift: & EIN sowie auf der anderen: SCHIFF.

    - INTERREGNUM A & EIN SCHIFF -

  • Der Titel der Skulptur Mediazän I-III könnte demnach nicht nur bedeuten, dass es sich um einen erdgeschichtlichen Zeitintervall handelt, sondern...

    Der Titel der Skulptur Mediazän I-III könnte demnach nicht nur bedeuten, dass es sich um einen erdgeschichtlichen Zeitintervall handelt, sondern auch dass dieser bloß eine Übergangsphase ist, ein Interregnum.
    Wenn mit dem Wort „Zän" (ursprünglich aus dem Griechischen, kainos für neu, jung, ungewöhnlich) diverse Bezeichnungen für Erdzeitalter gebildet werden und die Skulptur formale Anspielungen auf ein Schiff und die Gotik aufweist, so führt die Verknüpfung mit „Media" (ursprünglich aus dem Lateinischen, medium für Mitte, Vermittler, Träger) unweigerlich zu Gedanken über Entsprechungen zwischen dem Aufbruch in die Neuzeit, in der Spätgotik und den durch Digitalisierung befeuerten großen Umwälzungen einer medialen Welt. Die Skulptur fungiert demnach mit Gravuren, Titel und Fußnote als enigmatische Apparatur, die bei ihrer Bedienung Geschichten freisetzt, die Beziehungen zwischen Vergangenheit und Zukunft begreiflich machen können. Das Aufspüren von Entsprechungen zwischen Umbruchphasen in der Vergangenheit und aktuellen Vorgängen kann hilfreich sein, die Endzeitstimmungen wie auch die Zukunftseuphorie in ein neutralisierendes Licht zu setzen.

  • So kommt es kontinuierlich zu einem Interregnum, einer Zwischenregierung, der Zeit zwischen dem Abdanken eines Regenten, bzw. vorherrschenden Problemen und der Amtsaufnahme eines Nachfolgers, bzw. anderen Schwierigkeiten. Gemessen an den Kategorien von Erdzeitaltern, sind kulturelle Erscheinungsformen kaum mehr als Interregna und die Aufregungen darum regionale Besonderheiten. Doch lassen sich diese Vorstellungen extrapolieren? Auf die Auswirkungen unseres Verhaltens in einer global vernetzten Welt womöglich nicht, aber was die Selbsteinschätzung unserer eigenen Fähigkeiten betrifft auf jeden Fall. Die menschliche Hybris und ihre Einschätzung darüber, wie weit der menschliche Verstand seine Welt kontrolliert, scheint eine verlässliche Konstante zu bilden.

    In dem Buch „Was ist diesmal anders? Wirtschaftskrisen und die neuen Kunstmärkte" schreibt Dirk Boll darüber, wie tiefgreifend die Umbrüche unserer Zeit sind, wie weitreichend sich die Welt durch Digitalisierung im Begriff ist zu verändern. Produktion, Handel, Verkehr, Bildung, Umwelt, all das wird sich durch voranschreitende Digitalisierung ändern und dadurch auch die Lebenswelt aller Menschen in noch ungeahntem Ausmaß neugestalten.

  • Medienkunst, bevor es den Begriff gab, so wird im Buch zu einer Ausstellung in Berlin über die Gotik geschrieben, wie...

    Medienkunst, bevor es den Begriff gab, so wird im Buch zu einer Ausstellung in Berlin über die Gotik geschrieben, wie vollumfänglich die Veränderungen in der Zeit des 15.Jahrhunderts zu verstehen sind. Die Entwicklung der Druckgrafik und des Buchdrucks sind entscheidend für den Verlauf der gesamten europäischen Geschichte, für den Handel, die Verbreitung von Informationen und die Kanonisierung von Leitmotiven, deren Tradierung und Behauptung von kultureller Identität. In dieser Zeit bilden religiöse Gemeinschaften Zentren, in denen sich Kapital konzentrieren kann. Handwerker organisieren sich in Zünften und regeln die Rahmenbedingungen für die Berufsausübung. Bildhauer, Maler, Goldschmiede arbeiten nicht allein und nicht in einem individuellen Stil, sondern in Werkstätten, die einen kooperativen Charakter haben und verfolgen dort die Umsetzung einer Erscheinungsform, die wir heute Corporate Identity nennen würden. Zum ersten Mal kommt es zu spartenübergreifenden Zusammenarbeiten, die auf ein gemeinsames

     

  • Ziel hin orientiert sind, Stecher, Glasmaler, Schnitzer, Zimmerer, Steinmetze, Gießer, Silber- und Goldschmiede, Ziseleure und viele mehr, sind gemeinsam eingeschworen auf die Herstellung eines Endprodukts, das den Menschen dieser Zeit nicht nur ins Staunen versetzen, sondern schlichtweg überwältigen soll. Wie intensiv das Erleben einer gotischen Kathedrale damals gewirkt haben muss, mag heute kaum nachvollziehbar sein. Buntes Licht, Farben, Bildstöcke, Orgelklänge, eine Architektur die sich in den Himmel streckt und sich in unergründlichem Maßwerk aufzulösen scheint, alles im Dienste des Lobpreis Gottes, auf das mit großen Schritten die Vorboten der Kopernikanischen Wende zueilten, um die fantastische Architektur der uneingeschränkten Macht auf unumkehrbare Art und Weise zu demontieren. Man stelle sich nun vor, wir stünden heute an einer ähnlichen Stelle und in 550 Jahren gibt es eine Ausstellung über unsere Zeit als ein Teil des Mediazäns, irgendwo zwischen I und III. Ein Narrenschiff wird es gewesen sein und so ist es die Skulptur.
  • Markus Redl (b.1977 in Klosterneuburg, Austria) lives and works in Vienna. Before studying at the University of Applied Arts, Vienna in Erwin Wurm's class, Markus Redl studied psychology with a focus on criminology at the Juridicum in Vienna.
     
    His sculptural practice has been preceded by many years studying literature and theatre. During this time, he was also developing a practice that involved drawing, poetry and text, where language and semiotics play a central role. In addition, Redl has also realized major projects that combine architecture and landscape, figure and abstraction. His latest project was a sculpture for the Würth Collection, in which a sixteen tons sculpture was created from a marble block of more than fifty tons. 
     
    Recent solo exhibitions include: 'Flussmitte', Galerie Kandlhofer, 2021-2022;'Mudras', Galerie Kandlhofer, 2017; ‘Betrachtungen – Arbeiten aus 10 Jahren', Galerie Chobot, 2015 and 'Markus Redl. Vogelfrei', Galerie Kandlhofer, 2015.