Übersicht

Unter dem Titel „Embodied Rituals" versammelt die Galerie Kandlhofer drei künstlerische Positionen, die durch ihre Verquickung von Performance, Malerei und Installation bzw. Skulptur aus der internationalen Kunstwelt herausragen. Donna Huanca (*1980), Harminder Judge, (*1982) und Hermann Nitsch (1938-2022) haben mit ihrer spezifischen Kunstpraxis nicht nur Werke geschaffen, die einen hohen Wiedererkennungswert haben, sondern eine Ausdrucksform etabliert, die ihnen geradezu ein Alleinstellungsmerkmal zuweist. Die Ausstellung „Embodied Rituals" gibt anhand ausgewählter malerischer Arbeiten einen Einblick in das vielschichtige und komplexe Schaffen der drei Künstler*innen.

Zunächst sollte man sich klar machen, was unter „Ritual" zu verstehen ist. In der Alltagssprache wird der Begriff mitunter Synonym für eine gewisse Routine, einen Brauch, eine Zeremonie oder einen Handlungsablauf in einem Kult verwendet. Gerade vor der Folie des zeitgenössischen Diskursfeldes und im Kontext der performativen Kunstpraxis der Protagonist*innen der Schau sollte man jedoch präziser sein. Als Ritual bezeichnet man eine Handlungsabfolge, die durch Standardisierung der äußeren Form, Wiederholung, Aufführungscharakter, Performativität und eine symbolische Dimension gekennzeichnet ist. Alle Parameter treffen in unterschiedlichen Ausprägungen auf das Werk der drei Künstler*innen zu. Ihre Arbeiten entstehen in einem performativen Prozess, sind durch eine Geste der Wiederholung geprägt und spielen sich immer in ähnlichen oder gleichen Formen ab. Auch wenn es sich um eine gewisse Konstanz und Wiedererkennbarkeit in der äußeren Form handelt, manifestieren sich innerhalb der Parameter ihrer jeweiligen Werkprozesse Freiheit, Spontaneität und Unmittelbarkeit der Geste und natürlich auch eine kontinuierliche Entwicklung.

Rituale sind ebenfalls Verkörperungsprozesse, da die Handlungen nicht nur körperlich ausgeführt werden und oftmals eine bestimmte Körperinszenierung inkludieren, sondern es sich auch um inkorporierte Handlungsmuster handelt. Zudem werden die Ereignisse leiblich wahrgenommen, denn der Körper ist unser Medium und Mittel der Erfahrung von Welt. Der deutsche Kunsthistoriker Gottfried Böhm spricht davon, dass jedem Werk eine Erfahrungsform korrespondiert, es daher unsere Zuwendung voraussetzt und nach einem angemessenen Gebrauch unserer Sinne verlangt, um sich in seiner Eigenart zu erschließen. In unserer digitalen Zeit, in der wir tagtäglich mit zahllosen, perfekt aufbereiteten Bildern konfrontiert und von ihnen förmlich überflutet werden, stellt sich die Frage, welche Bilder noch unsere Aufmerksamkeit und damit unsere Auseinandersetzung zu wecken vermögen. Der bezeichnende Gestus der Bildbetrachtung heute ist das Wischen mit dem Finger über eine berührungsempfindliche Benutzerschnittstelle, neudeutsch Interface genannt. Die Zeit, die einem Bild bleibt, um von uns erfasst und im Idealfall sogar reflektiert zu werden, ist im Millisekundenbereich angesiedelt. Wir berühren tagtäglich Myriaden von Bildern und begreifen sie dennoch nicht.

Donna Huanca, Harminder Judge und Hermann Nitsch schöpfen ihre Werke aus einem existenziellen Grund und schaffen durch deren körperliche Dimension eine Präsenzqualität, die uns im positivsten Sinn irritiert und aus diesem Zeitfluss für einen kurzem Moment herausreißt. Die Bilder der Ausstellung sind Ergebnisse symbolischer Handlungen, die über sich selbst hinausweisen, und durch ihre Kraft den jeweiligen Augenblick transzendieren und ihn in einen größeren Zusammenhang stellen. Im Gegensatz zur seriellen Wahrnehmung unserer digitalen Gegenwart fordern sie eine symbolische Wahrnehmung, die das Bleibende aus dem Flüchtigen heraus erkennt, um mit dem deutschen Philosophen Hans-Georg Gadamer zu sprechen. Das Wesen der Zeiterfahrung dieser Kunst ist, dass wir zu weilen lernen, uns in die Bilder vertiefen und sie im besten Fall inkorporieren. In der Theorie wohnt Ritualen das Vermögen inne, die soziale Wirklichkeit zu verändern, indem sie die Perspektive und die Erwartungen der Beteiligten verändern. Diese Potenzialität bergen auch die Werke der Künstler*innen, die auf originäre Weise Vergangenes mit Gegenwärtigem verbinden und in die Zukunft weisen.


Text by: Roman Grabner

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